Stell dir vor, du investierst an der Börse und die Quartalsberichte trudeln ein. Alle Augen sind auf die Gewinnzahlen gerichtet. Ein Unternehmen hat seinen Gewinn im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent gesteigert - ein klarer Erfolg, oder? Doch dann kommt der Haken: Um diese Zahlen zu erreichen, hat das Unternehmen bei Forschung und Entwicklung gekürzt und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen. Kurzfristig sehen die Zahlen gut aus, langfristig geht die Substanz verloren.
Oder schauen wir in die Welt der Kryptowährungen. nehmen wir das Beispiel der Marktkapitalisierung: Viele Investoren nutzen diese Kennzahl, um die Größe und den Erfolg einer Kryptowährung zu messen. Doch genau das führt in meinen Augen zu problematischen Verzerrungen. Kryptoprojekte manipulieren ihre Tokenstruktur oder "pumpen" künstlich den Preis auf, um auf dem Papier wertvoller zu erscheinen, ohne dass dies die tatsächliche technologische Substanz oder den Nutzen des Projektes widerspiegelt.
Genau an dieser Stelle greift "Goodharts Geset"*. Sobald eine Kennzahl - in meinen beiden Fällen der Gewinn und die Marktkapitalisierung - zum Hauptziel wird, verliert sie ihre Aussagekraft. Denn das eigentliche Ziel, langfristige Stabilität und Wachstum, tritt in den Hintergrund. Die Zahlen werden manipuliert, damit sie glänzen - und wir, die Anlegerinnen und Anleger, fallen auf die Illusion herein.
In unserer datengetriebenen Welt verlassen wir uns immer mehr auf Zahlen, um Entscheidungen zu treffen. Ob in der Wirtschaft, im Bildungssystem oder im Gesundheitswesen - Metriken gelten als objektive Indikatoren für Erfolg. Doch der britische Ökonom Charles Goodhart erkannte bereits in den 1970er Jahren, dass diese Denkweise oft eine gefährliche Illusion ist. Sein nach ihm benanntes Gesetz besagt: „Wenn eine Kennzahl zum Ziel wird, hört sie auf, eine gute Kennzahl zu sein“.
Mit anderen Worten: Wenn eine Messgröße zum Ziel wird, verliert sie ihren wahren Wert. Menschen und Unternehmen beginnen, ihr Verhalten anzupassen, um die Metrik zu erfüllen - unabhängig davon, ob sie damit das eigentliche Problem lösen. Dies führt häufig zu Manipulationen und verzerrten Ergebnissen, während das ursprüngliche Ziel verfehlt wird.
Prüfungsnoten: Wenn der Zweck verfehlt wird
Ein Paradebeispiel für Goodharts Gesetz findet sich im Bildungssystem. Noten sollen eigentlich messen, wie gut Schüler den Lernstoff beherrschen. Doch wenn Noten das Ziel sind, passiert etwas Seltsames: Schüler lernen, um Prüfungen zu bestehen, und nicht, um wirklich zu verstehen. Lehrer unterrichten „für den Test“ und nicht für langfristiges, tiefes Wissen.
Das Ergebnis? Die Durchschnittsnoten steigen vielleicht, aber was bleibt auf der Strecke? Richtig: das Verständnis. Ein Bildungssystem, das Prüfungen zum Maßstab macht, produziert Oberflächlichkeit. Die eigentliche Substanz, die Bildung vermitteln soll, geht verloren. Am Ende haben wir Schülerinnen und Schüler, die Prüfungen bestehen können, aber echte Problemlösungen werden zur Herausforderung.
Wirtschaft: Die Illusion der Quartalsgewinne
Auch in der Wirtschaft ist Goodharts Gesetz gefährlich. Unternehmen, die sich ausschließlich auf kurzfristige Kennzahlen wie Quartalsgewinne konzentrieren, riskieren ihre langfristige Stabilität. Wenn der Gewinn zum Ziel wird, greifen Unternehmen oft zu drastischen Maßnahmen, um die Zahlen zu optimieren - etwa durch Einsparungen bei Forschung und Entwicklung oder beim Personal.
Kurzfristig mag das gut aussehen, langfristig schwächt es das Unternehmen. Innovationen werden geopfert, das Wachstum stagniert und die Fragilität des Geschäftsmodells nimmt zu. Die Kennzahl „Gewinn“ als alleiniger Maßstab führt zu verzerrten Entscheidungen, die das eigentliche Ziel, nachhaltiges Wachstum, untergraben.
Corona-Pandemie: Wie Kennzahlen die Realität verschleiern
Ein weiteres eindrucksvolles Beispiel ist die Corona-Pandemie. Während der Pandemie wurden bestimmte Metriken wie die Zahl der Neuinfektionen oder die Hospitalisierungsrate zum Hauptziel. Diese Metriken waren anfangs nützlich, um die Situation zu überwachen. Als sie jedoch zu politischen Zielen wurden, zeigten sich ihre Schwächen.
Einige Länder reduzierten die Zahl der Tests, um die Infektionsraten zu „senken“. Statt das wahre Ausmaß der Pandemie zu messen, wurden die Statistiken manipuliert. Die Realität wurde verzerrt und das Vertrauen in die Zahlen erschüttert. Goodharts Gesetz in Reinform: Die Zahl wurde zum Ziel - und verlor dabei ihre Bedeutung.
Arbeitslosigkeit: Politische Kosmetik statt echter Lösungen
Auch die Politik ist vor Goodharts Gesetz nicht gefeit. Ein Beispiel: die Arbeitslosenquote. Sie wird oft als Indikator für den Zustand der Wirtschaft herangezogen. Doch wenn es nur darum geht, diese Zahl zu senken, greifen Regierungen häufig zu kosmetischen Maßnahmen - etwa indem sie Arbeitslose in schlecht bezahlte Jobs drängen, die kaum Perspektiven bieten.
Das Problem der Arbeitslosigkeit wird so nicht gelöst, sondern nur geschönt. Das Maß „Arbeitslosenquote“ verliert seine Aussagekraft und vermittelt eine falsche Realität.
Die wahre Lehre aus Goodharts Gesetz
Was können wir daraus lernen? Metriken sind mächtige Werkzeuge, aber sie sind keine Ziele an sich. Sobald eine Metrik zum Ziel wird, verändert sie unser Verhalten - nicht immer zum Besseren. Zahlen können uns helfen, Fortschritte zu messen, aber sie sollten niemals den Blick auf das große Ganze verstellen.
Die wichtigste Lehre aus Goodharts Gesetz ist daher, das eigentliche Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Noten sollten Bildung messen, nicht Prüfungsstrategien. Gewinne sollten die Gesundheit einer Organisation widerspiegeln, nicht kurzfristige Effekte. Und Gesundheitsindikatoren sollten die Realität zeigen, nicht politische Erfolge vortäuschen.
Vorsicht vor der Macht der Zahlen
Goodharts Gesetz erinnert uns daran, dass Zahlen nicht die ganze Wahrheit sagen. Sie spiegeln die Realität wider, aber sie *sind* nicht die Realität. Wenn wir sie zu unserem einzigen Ziel machen, verzerren wir die Wahrheit und verlieren den Blick für das Wesentliche. Setze Metriken klug ein, als Werkzeug und nicht als Selbstzweck - nur so erreichen wir die tieferen Ziele, die wirklich zählen.
Also: Wie gehst du mit Metriken um? Setzt du auf langfristige Substanz oder jagst du kurzfristigen Zahlen hinterher?